Johannes und Jesus: zwei Pole des Glaubens
Unsere Zeitrechnung beginnt mit Christi Geburt. Doch dieses Datum ist selbst aufs Jahr genau nicht zu bestimmen. Der Evangelist Lukas bietet uns im heutigen Evangelium eine andere, genauere, Datierung an: „Es war im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius“ - also im Jahr 29 n. Chr. Dies ist die einzige historisch sichere Zeitangabe der vier Evangelien. Lukas ist dieses Datum so wichtig, weil für ihn hier das Christentum beginnt: mit dem öffentlichen Auftreten des Johannes des Täufers. Also mit dem Mann, der doch so ganz anders war als Jesus. Lukas will uns, denke ich, zeigen: es braucht diese zwei gegensätzlichen Pole des Mensch-Seins um christliches Leben zu umschreiben. Der spannenden Gegensatz von Jesus und Johannes führt in die Mitte des christlichen Glaubens. Ein Beispiel dafür ist das Verhältnis zu sich selbst, zur eigenen Person, zum „Ich“ und damit auch zum „Ich“ des anderen.
Johannes geht mit seinem „Ich“ rein äußerlich zerstörerisch um. Er lebt unter einfachsten Bedingungen in der Wüste. Bei diesem Klima, dieser Ernährung, dieser Bekleidung, diesen Gefahren wird niemand sechzig oder siebzig Jahre alt. Und wer sich - wie Johannes - provokativ gegen die Herrscherfamilie Herodes stellt, kann ebenfalls mit seinem vorzeitigen Ableben rechnen. Was mit der Enthauptung des Johannes dann auch geschehen ist. Wichtiger aber noch: Er, der willensstarke, kraftvolle Mann legt keinen Wert auf seine Persönlichkeit. Er will weg von seinem Ich um sein ganzes Herz, seine ganze Seele auf das Reich Gottes, genauer gesagt auf den, der kommen wird, auszurichten. Er nimmt Abstand von seinem Ich um mit aller Kraft Wegbereiter des Messias zu werden. Diese Radikalität der eigenen Person gegenüber um sein Leben ganz auf Gott hin auszurichten, finden wir bei einigen Heiligen und heiligmäßigen Frauen und Männern. Zwei Beispiele: Franz von Assisi, der sein Leben der Jesus-Nachfolge widmete, starb geschwächt vom allzu armen, einfachen Leben mit vierundvierzig. Simone Weil, die große Mystikerin und Gottsucherin des letzten Jahrhunderts starb ausgehungert und krank 1943 sogar schon mit vierundreißig Jahren - auf ihren Körper hat sie nie geachtet.
Johannes ist der eine Pol, Jesus der andere: Jesus kennt Johannes, er besucht ihn. Doch er bleibt nicht in der Wüste und schließt sich auch nicht der Anklage gegen Herodes an. Sich selbst zu zerstören ist ihm fremd. Er lebt einfach, aber nicht ärmlich. Essen und trinken sind ihm so wichtig, dass er sie im Abendmahl in den Mittelpunkt des Christentums stellt. Er selbst wird sogar als Fresser und Säufer angefeindet. Das ist die äußere Seite. Aber auch als Person ist Jesus einer, der „Ich“ sagt. Und er ist einer, der will, dass andere „Ich“ sagen können. Die Prostituierte, Objekt männlicher Begierde, richtet er auf; Kranke und Besessene befreit er: alles das, um ihnen ihre Würde zurück zu geben. Sie sollen wieder selbstbewusst „Ich“ sagen können.
Zwei Pole des einen Christ-Seins. Und viele Fragen! Wage ich es in der Nachfolge Jesu bewusst und stolz „Ich“ zu sagen? Fördere ich das Selbstbewusstseins anderer oder stelle ich es in Frage? Helfe ich anderen „Ich“ zu sagen oder verhindere ich es sogar? Mache ich andere groß oder klein? Wieweit bin ich andrerseits in den Fußstapfen Johannes des Täufers und der Mystiker aller Zeiten bereit, mein „Ich“ hinzuwenden auf den anderen - den anderen Menschen, Gott? Gelingt es mir mit Gebet und Meditation einen Weg zu gehen, der aus meinem statischen Sein ein kraftvolles Werden machen kann? Was ist mein Weg?
(Diakon Sebastian Nüßl)
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