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Pfarrer Franz Reitinger zu Kunstwerken von Ursula Bolck-Jopp und Tom Kristen am 18. Sonntag i. J. B/1. August 2021



Oben: "Im Wandel" von Ursula Bolck-Jopp; Unten: "Sisyphos" von Tom Kristen; 
Schriftlesungen: Exodus 16,2-4.12-15; Johannes 6,24-35

Liebe Mitchristen!

Nach der geradezu sagenhaften Brotvermehrung, von der wir letzten Sonntag im Evangelium gehört haben, wollen die Leute mehr davon sehen und erleben. Sie setzen gewisser Maßen alle Hebel in Bewegung, um sich das Patent auf diesen Brotkönig Jesus zu sichern.

 Als sie ihn am Ufer des Sees nicht finden, so haben wir heute zu Beginn des Evangeliums gehört, da steigen sie in die Boote, fahren nach Kafarnaum und suchen ihn dort. Und als sie ihn endlich gefunden haben, beginnen sie ihn mit einer scheinbar harmlosen Frage zu belagern: "Rabbi, wann bist du hierhergekommen?" Doch Jesus sagt ihnen gleich auf den Kopf zu, dass er ihre Strategie durchschaut hat: "Ihr sucht mich nicht, weil ihr Zeichen gesehen habt, sondern weil ihr von den Broten gegessen habt und satt geworden seid."

Und dann kommt der entscheidende Satz, der wie ein funkelnder Edelstein uns bis heute zu denken geben kann: "Müht euch nicht ab für die Speise, die verdirbt, sondern für die Speise, die für das ewige Leben bleibt und die der Menschensohn euch geben wird!"

Drei wichtige Sätze kann ich in diesem einen Satz entdecken. Der erste lautet: "Müht euch nicht ab für die Speise, die verdirbt, sondern für die Speise, die ... bleibt!" Gläubigen Juden fällt in diesem Zusammenhang sofort die Geschichte vom Exodus, von der Befreiung aus dem Sklavenhaus Ägyptens, von der Wüstenwanderung und von der dort zu findenden Nahrung ein, dem Manna, dem Wunderbrot, das allerdings sehr schnell verdirbt und deswegen jeden Tag neu gesammelt werden muss. Wir haben heute in der ersten Lesung davon gehört.

Und so eine Art Wunderbrot ist ja auch das Brot der Brotvermehrung Jesu. Doch es ist nicht dafür vorgesehen, auf einen Schlag alle Ernährungsprobleme der Menschheit zu lösen. So schön das wäre! Aber das wäre zu oberflächlich, zu materiell gedacht, denn Jesus hat mehr und anderes zu bieten als eine Stillung unseres Hungers und eine Erfüllung unserer Bedürfnisse nach diesem und jenem. Er ist kein Tischlein-deck-dich und kein Brotkönig. Doch was ist diese Speise, die nicht verdirbt? Was ist die Speise, die bleibt?

Lassen Sie sich für die Erkundung dieser Frage zu einer kleinen Reise zu einem der beiden Kunstwerke einladen, die wir ab diesem Wochenende hier vorne sehen. Diese beiden Bilder schauen auf den ersten Blick nicht besonders fromm aus. Die junge Frau auf der Schaukel weckt bei vielen schöne Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend. Das unbeschwerte Sich-hin-geben an die Bewegung lässt ein Gefühl von Leichtigkeit und Freiheit aufkommen.

Auch die Künstlerin Ursula Bolck-Jopp hat nach eigenem Bekunden gerne geschaukelt. Und sie lässt sich bis heute immer wieder einmal dazu hinreißen, dieses Spiel der Leichtigkeit zu versuchen, sich ganz hineinzugeben in den Rhythmus aus eigener Anstrengung und einem Getragenwerden, in eine Bewegung, die nach Lebensglück und erfülltem Leben schmeckt und vielleicht sogar den Vorge-schmack auf die Ewigkeit vermittelt. - Ist das alles nur Schall und Rauch, eine harmlose Träumerei? Oder steckt darin, um es mit den Worten Jesu auszudrücken, schon eine Ahnung von der "Speise, die bleibt"?

Zu denken gibt mir auf jeden Fall der dunkle Hintergrund dieses Bildes, das außerdem den Titel "IM WANDEL: Vertreibung aus dem Paradies" bekommen hat. Ich fühle mich angeregt, dieser Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies zu folgen und mit der Künstlerin davon zu träumen, was wirklich wichtig ist im Leben und was in diesem Leben schon eine bleibende, eine beständige Qualität hat, so beständig, dass sie auch für das ewige Leben bleibt.

"Was bleibt, das stiften die Liebenden", lautet ein Buchtitel des bekannten evangelischen Theologen Jörg Zink. Dieser Satz bewegt sich bestimmt in der Spur der Botschaft Jesu und man könnte ihn ergänzen mit einem weiteren Satz: "Was bleibt, das stiften die Liebenden." Sie bringen uns dem verlorenen Paradies schon einen bedeutenden Schritt näher.

Und jetzt komme ich zurück zu dem bereits erwähnten Satz im Evangelium: "Müht euch nicht ab für die Speise, die verdirbt, sondern für die Speise, die für das ewige Leben bleibt und die der Menschensohn euch geben wird!" Über den ersten Satz, der darin enthalten ist, habe ich gerade gesprochen. Der zweite Satz lautet: "Müht euch ... ab ... für die Speise, die für das ewige Leben bleibt." - Doch kann man sich dafür überhaupt abmühen? Können wir es aus eigener Kraft fertig bringen, uns das ewige Leben zu verdienen? Natürlich nicht! Und das hat Jesus auch bestimmt nicht gemeint. Aber unser Bemühen kann und sollte in diese Richtung gehen. Sich nicht für die vergänglichen Dinge allzu sehr zu verausgaben, sondern viel mehr Energie darauf zu verwenden, dem Himmel näher zu kommen. Das letzte I-Tüpfelchen auf diesem Weg ist dann ohnehin Gnade, Geschenk. Gott kommt uns himmelweit entgegen, wenn wir uns aufmachen, ihm entgegen zu gehen, wenn wir im Sinne Jesu und seiner frohen Botschaft die Liebe zu Gott und zu unseren Mitmenschen in den Mittelpunkt unseres Bemühens stellen.

Und genau da, an diesem Punkt empfinde ich das andere Bild hier vorne als einen sehr tröstlichen und heiteren Impuls. Tom Kristen gibt diesem Bild den Titel "Sisyphos". Viele von uns werden diesen Mythos von der gleichnamigen Heldengestalt kennen, der Tag und Nacht dazu verurteilt ist, einen schweren Stein auf den Berg zu bringen. Und kurz bevor er oben ankommt, rollt dieser Stein wieder den Berg hinab und er muss neu damit beginnen, ihn wieder hochzuwälzen.

Manches menschliche Werk haben schon Generationen vor uns als Sisyphos-Aufgabe empfunden und nicht wenige unserer Zeitgenossen sind wohl geneigt, ihr ganzes Leben als eine immerwährende Anstrengung zu verstehen, als ewiges Sich-abrackern mit sinnlosen Pflichten, denen man kaum oder gar nicht entkommen kann.

Doch mit biblischer Leichtigkeit setzt der Künstler dieses Thema ins Bild. Auch er scheint zu träumen. Deutet darauf der schwarze Hintergrund hin? Oder befinden wir uns hier auf einer Theaterbühne? Auf jeden Fall nimmt die ganze Szenerie dem ganzen Sisyphos-Mythos seinen Schrecken.

Denn die kleine menschliche Figur macht keinerlei Anstalten, irgendeinen schweren Stein auf den Berg zu rollen. In eigenartig distanzierter Haltung steht der moderne Sisyphos vor diesem Berg und scheint ganz davon in Anspruch genommen, über seine Aufgabe nachzudenken, die Leiter und den Berg zu betrachten und im Grunde nichts zu tun. Der Berg scheint zu einem harmlosen Möbelstück geworden zu sein, das man als Requisite im Theater mühelos hin- und herschieben kann. Und die Leiter muss man wohl als absurden Versuch bezeichnen, diesen Berg zu erklimmen.

Doch was mich am meisten fasziniert an diesem Bild, das ist dieses rätselhafte blaue Tuch, das vor den Wolken vom Himmel herunterhängt. Könnte es nicht so etwas wie ein Zeichen vom Himmel sein, in aller Vergeblichkeit und Belanglosigkeit unseres Lebens uns mehr auf das zu konzentrieren, das zwar auch ungenau und rätselhaft bleibt, was uns aber schon einen Vorgeschmack auf das Ewige und den Ewigen gibt?

Der Mensch auf dem Bild müsste sich eigentlich nur umwenden, in eine andere Richtung schauen, er müsste nur umkehren, um die Zeichen vom Himmel wahrzunehmen und der Spur Gottes zu folgen, die in ein erfülltes Leben führt, um die Speise zu entdecken, die nicht verdirbt, sondern für das ewige Leben bleibt.

"Müht euch ... ab für die Speise, die ... der Menschensohn euch geben wird." Das ist der dritte Satz in diesem einen langen Satz im Evangelium, in dem so viel enthalten ist. Das blaue Tuch, das Tom Kristen auf seinem Bild vor die Wolken gesetzt hat, es könnte ein Teil des Tischtuchs sein, mit dem der Menschensohn den Tisch des himmlischen Gastmahls deckt. Es würde passen zum Ostermahl des Auferstandenen, zu dem wir auch an diesem Sonntag wieder geladen sind, um alle Sisyphos-Aufgaben der vergangenen Woche hinter uns zu lassen, um den größeren Zusammenhang schon zu erahnen, den größeren Zusammenhang unseres Lebens, den Sinn und das Ziel, auf das alles zuläuft, weil der liebende Gott und Vater Jesu Christi uns nicht in eine Wüste, sondern in sein gelobtes Land führen wollte, führen will und führen wird. Amen.

 

Pfarrer Franz Reitinger, Deggendorf St. Martin

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