Ein Prophet gilt nichts in seiner Heimat - Gedanken von Pfarrer Franz Reitinger zum 14. Sonntag im Jahreskreis
Liebe Leserinnen und Leser!
„Ein Prophet gilt nichts in seiner Heimat.“ Viele von Ihnen kennen dieses Sprichwort. Bereits zur Zeit Jesu war dieser Satz weithin bekannt. Und entsprechend ergeht es auch Jesus in seiner Heimatstadt Nazareth. „Er konnte dort kein Wunder tun“, heißt es nüchtern und sachlich in unserem heutigen Evangelium (Markus 6,1b-6). Und wenn ein Prophet nichts gilt, dann kann er auch kaum etwas bewirken - schon allein deshalb, weil ihm alles, was er tut, falsch ausgelegt wird. Für einen Propheten und sein Anliegen ist es deshalb besser, dorthin zu gehen, wo seine Botschaft verstanden und akzeptiert wird.
Doch nicht selten findet ein echter Prophet nirgends diese volle Anerkennung, die seine Botschaft verdient hätte. Ein wichtiger Grund dafür ist die Provokation, die ein Prophet verursacht, die er um seiner Botschaft willen verursachen muss. Sein anders Sein, seine neuen Ideen und seine treffende Kritik machen ihn zu einem unbequemen Mahner. Nur die wenigsten können das ertragen.
Dieses Prophetenschicksal, von vielen, wenn auch nicht von allen abgelehnt zu werden, muss auch Jesus ertragen. Doch er steht nicht allein damit. Vielen anderen Propheten vor und nach ihm ist es auch so ergangen.
Kein Wunder also, dass sich auch der alttestamentliche Prophet Ezechiel, von dem an diesem Sonntag in der 1. Lesung (Ezechiel 1,28c-2,5) zu hören ist, mit diesen Schwierigkeiten herumschlagen muss. Sicher würde auch er am liebsten seinen unangenehmen Auftrag sein lassen, den Leuten ins Gewissen zu reden, wäre da nicht eine Macht, die ihn nicht mehr loslässt.
Doch was sind eigentlich die Hintergründe, die einen Ezechiel zum Propheten werden lassen? Nachdem Jerusalem 597 v. Chr. ein erstes Mal von Nebukadnezzar erobert worden war, wurde ein Großteil der Jerusalemer Oberschicht nach Babel verschleppt und dort angesiedelt. Unter ihnen war auch der Priester Ezechiel. Viele von den Verbannten wollten das Ausmaß der Katastrophe dennoch nicht wahrhaben. Musste nicht Jahwe, ihr Gott, so dachten sie, gewaltsam eingreifen zu Gunsten seines Volkes?
Und neben dieser illusionären Hoffnung breitete sich mehr und mehr eine tiefe Resignation aus – besonders dann, als 586 v. Chr. Jerusalem ein zweites Mal erobert und diesmal sogar der Tempel zerstört wurde. War es jetzt nicht endgültig aus und vorbei mit der Verheißung, Gottes auserwähltes Volk zu sein? Hatte sich ihr Glaube nicht als Täuschung, als Illusion, als Fata Morgana erwiesen?
Viele meinten deswegen: Wenn der Gott Jahwe so schwach, so ohnmächtig ist, dann müssen wir uns an andere Götter halten, die mächtiger sind als unser bisheriger Gott?
Doch genau in dieser Situation erfährt Ezechiel seine Berufung. Gottes Stimme drängt sich Ezechiel auf, sie packt ihn von innen, sie ist nicht mehr zu überhören in seinem Herzen und lässt ihn nicht mehr los. „Stell dich auf deine Füße, Menschensohn, ich will mit dir reden“, so hört er diese Stimme zu ihm sagen. Und wie andere Propheten auch, erlebt Ezechiel den Einbruch Gottes in sein Leben als etwas, das ihn nicht mehr schweigen lässt. Er weiß sich gesandt, Gottes Wort hineinzusagen in die verfahrene Lage seines Volkes.
„Menschensohn“, so klingt in ihm Gottes Stimme wieder, „Menschensohn, ich sende dich zu den abtrünnigen Kindern Israels, die sich gegen mich aufgelehnt haben. Sie und ihre Väter sind immer wieder von mir abgefallen, bis zum heutigen Tag. Es sind Söhne mit trotzigem Gesicht und hartem Herzen. Zu ihnen sende ich dich. Du sollst zu ihnen sagen: So spricht Gott, der Herr. Ob sie dann hören oder nicht..., sie werden erkennen müssen, dass mitten unter ihnen ein Prophet war.“
Doch was bringt so ein prophetischer Zwischenruf? Ist er nicht dazu verurteilt, ungehört zu verhallen? Wären wir nicht auch skeptisch gegenüber den Erfolgsaussichten einer solchen prophetischen Stimme? Warum lässt sich dieser Ezechiel verheizen für einen Auftrag, der am Ende doch nichts bringt?
Und werden genau diese Fragen nicht auch in unserer Kirche immer lauter gestellt? Warum engagiere ich mich denn noch in der Kirche, warum setze ich mich ein für die Sache Jesu und für die Weitergabe des Glaubens, wenn viele dafür nicht mehr übrig haben als ein müdes Lächeln oder eine spöttische Bemerkung und wenn bei den längst überfälligen Reformanliegen scheinbar nichts weitergeht?
Finden wir uns, liebe Mitchristen, nicht auch manchmal in der Rolle eines Ezechiel wieder? Sind wir als Glaubende, die sich von Gottes Wort angesprochen fühlen, nicht schon längst drin in der Rolle des Propheten, dessen Glaubenszeugnis fast niemanden mehr interessiert?
Schauen wir noch einmal in unsere Lesung hinein. Lassen wir uns ansprechen von dem Wort, das Ezechiel als Wort Gottes zu hören bekommt: „Du aber, Menschensohn, fürchte dich nicht vor ihnen, hab keine Angst vor ihren Worten!“
Kommt es nicht darauf an, der Angst zu widerstehen, mit der eigenen Überzeugung allein da zu stehen? Kommt es nicht darauf an, den eigenen Glauben nicht davon abhängig zu machen, was die neuesten Umfrageergebnisse als Mehrheitsmeinung wiedergeben? Selbstverständlich kann und soll man auch in Glaubensfragen dazulernen, aber ein Fähnchen im Wind ist kein Wertefundament und keine Glaubensüberzeugung, an der man sich orientieren kann.
Christen brauchen gerade auch in unseren Zeiten den Mut, dem eigenen Glauben zu trauen, auch anderen gegenüber dazu zu stehen und sich dafür einzusetzen. Christen sollten gerade auch heute sich immer neu auf die Suche begeben nach den Quellen der prophetischen Kraft, die dem biblischen und christlichen Glauben von Anfang an eingestiftet ist. Und diese prophetische Kraft besteht darin, hellhörig zu sein für Gottes Wort, aber auch feinfühlig für die Zeichen der Zeit, sensibel dafür, wie Gottes Geist diese Welt umgestalten, befrieden und heilen will.
Propheten wie Ezechiel, Propheten wie Jesus und wie viele andere vor und nach ihm waren immer wie ein fester Baum, der erst im Gegenwind zeigt, wie fest er in Gott verwurzelt ist. Das Vertrauen in Gott und die Offenheit für sein Wirken wird auch uns dazu befähigen, prophetischer, kraftvoller, mutiger unser Christsein zu leben - ohne Angst davor, was die Leute sagen oder denken.
Stadtpfarrer Franz Reitinger, Deggendorf St. Martin
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