Liebe Leserinnen und Leser!
"soviel stille // dass ich Das Senfkorn / Wachsen höre" - In einem meiner Gedichte verbinden sich die beiden Gleichnisse vom Senfkorn und von der selbst wachsenden Saat miteinander und mit den Erfahrungen, die man in der Meditation in einer wohltuenden Stille machen kann.
Und das ist kein Zufall, denn in der Meditation, im betenden Nachsinnen über Gott und die Welt erschließt sich oft erst, in welchen Situationen schon etwas aufblitzt von der Nähe des Reiches Gottes, von dem Jesus so gerne gesprochen hat, vom Reich Gottes, das mit ihm schon angebrochen ist und durch alle Zeiten erfahrbar ist, aber eben nicht laut und übermächtig, sondern oft versteckt und unscheinbar neben ganz anderen Wirklichkeiten.
Gottes Reich - das ist wie ein winzig kleines Senfkorn, das zu einer großen Senfstaude heranwächst, größer und mächtiger als mancher Baum, so dass in seinen Zweigen die Vögel ihre Nester bauen können. Lebensfroh geht es also zu - überall dort, wo Menschen aufmerksam darauf achten, was Gott will, wo sie Gottes Weisungen beachten und gut miteinander umgehen.
Und in der stillen, aber aufmerksamen Meditation kann man auch zu einem vertieften Staunen darüber kommen, wie viel Gutes in dieser Welt sich verhält wie ein ausgestreuter Same, der dann ohne weiteres Zutun heranwächst und Frucht trägt. Das Wachsen des Herrschaftsbereiches Gottes entpuppt sich so als das Gegenteil unserer Leistungsgesellschaft, die oft genug nur das gelten lässt, was Menschen mit ihrer Leistung zustande bringen, und nahezu vollständig ausblendet, was von Gott her schon da ist als Wachstumspotential seines Heiligen Geistes in den Menschen und in der ganzen Schöpfung.
Das Gedicht, das ich am Anfang bereits kurz angesprochen habe und das eigentlich ein Gebet ist, klingt in seinem ganzen Umfang so:
soviel stille
dass ich Das Senfkorn
Wachsen höre
was soll ich tun
frag' ich Dich leise
Bleiben
Antwortest Du
und
Wachsen lassen
Das Senfkorn"
Ich verstehe diese eigene Erfahrung, dieses Gebet, diese Zwiesprache mit dem viel leiseren Gott, von dem ich am Schluss eine Antwort zu vernehmen meine, natürlich auch als Einladung an die Leser dieses Gedichts, es selber auszuprobieren mit der Stille, mit der Meditation, mit dem Suchen nach den Spuren des Reiches Gottes im eigenen Umfeld.
Und wer das tut, der wird überrascht sein, wie nahe einem plötzlich der Lebens- und Herrschaftsbereich Gottes kommt, wie nahe man sich schon in einem vermeintlich banalen Alltag dem Himmel fühlen kann - so nahe, dass man das Wachsen des Senfkorns zwar nicht sehen, aber doch mit den inneren Ohren hören kann, so nahe, dass die überaus menschliche Frage, was man noch dazu tun kann zu diesem Glück, überrascht wird von der leisen Antwort Gottes, die einem bekundet, dass es ausreicht und dass man gar nicht mehr tun kann als zu bleiben, als in seiner Gegenwart zu bleiben und das Senfkorn des Reiches Gottes weiter wachsen zu lassen.
"was soll ich tun / frag' ich Dich leise // Bleiben / Antwortest Du // und // Wachsen lassen / Das Senfkorn"
Liebe Mitchristen! Die beiden Gleichnisse, die Jesus damals vor 2000 Jahren über das schon angebrochene Reich Gottes erzählte, sind aktueller denn je. Das ist meine tiefste Überzeugung. Doch wir finden nicht hinein in die Gegenwart des Reiches Gottes, wenn wir voller Aktionismus und mit unseren vorgefassten Meinungen, was mit dem Reich Gottes zu tun hat und was nicht, danach suchen. Denn Jesus und seine Botschaft waren noch immer für eine Überraschung gut.
Umgekehrt wächst schon vieles ganz selbstverständlich heran, was durchaus mit Gott zu tun hat, was ganz und gar seinem Willen entspricht, was schon Reich-Gottes-Qualität besitzt, auch wenn es ohne jeden frommen Anstrich aus-kommt. Es kommt nur immer wieder darauf an, dass wir mit den Augen Jesu die Welt und die Menschen betrachten, ihre Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit, ihre echte, arglose Liebe, ihren Willen zum Guten und ihre Offenheit für Gott. "Hier und Heute" habe ich als Überschrift über das Gedicht-Gebet geschrieben, weil das Reich Gottes auch hier zu finden ist und nicht erst irgendwann in ferner Zukunft, sondern jeden Tag neu, auch heute.
Text und Foto: Stadtpfarrer Franz Reitinger, Deggendorf St. Martin
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