Die Apostelgeschichte bringt es ungeschminkt an den Tag, wie sehr auch die Apostel in ihren eigenen Vorstellungen verhaftet sind. Selbst nach 40 Tagen, in denen ihnen der Auferstandene immer wieder begegnet ist, träumen sie noch immer den alten Traum, der eigentlich mit Jesu Tod am Kreuz schon endgültig zerbrochen war. „Herr“, fragen sie ihn, „wirst du jetzt Israel wieder zu einem freien und mächtigen Reich machen?“
Und noch einmal muss Jesus ihre Erwartungshaltung zurechtrücken: „Die Zeit dafür hat allein Gott der Vater bestimmt. Das ist nicht eure Sache.“
Doch das, was Jesus ihnen verspricht, ist mehr als ein Trostpflaster. Es ist eine Zusage, die seitdem bis heute all seinen Jüngern, all seinen Aposteln gegeben wird, die seine Botschaft von Gottes neuer Welt weitertragen und weitererzählen – bis in die entlegensten Winkel der Erde.
„Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen. Er wird euch fähig machen, überall als meine Zeugen aufzutreten: in Jerusalem und Judäa, in Samarien und bis in die entferntesten Länder der Erde.“
Dabei ist es heute gar nicht mehr so wichtig, in die Ferne zu schweifen, da das einst christliche Abendland schon längst wieder zum Missionsland geworden ist und wir eher unsere Hoffnung darauf setzen müssen, dass Geist erfüllte Missionare zu uns nach Europa kommen.
Doch vielleicht geht es uns mit unseren Träumen von einer christlich geprägten Umgebung ganz ähnlich wie den Aposteln, die nicht lassen können von ihren Traumvorstellungen von einem wieder erstandenen Königreich Israel. Denn solche festgelegten Idealvorstellungen verstellen allzu leicht den Blick für die neuen Möglichkeiten, die die Zukunft bereit hält.
Der Apostel Paulus hat zum Beispiel einen offenen Blick auf Gottes neue Möglichkeiten, wenn er an die Christen in Ephesus schreibt: „Ihn, den Gott unseres Herrn Jesus Christus... bitte ich darum, euch den Geist der Weisheit zu geben, damit ihr ihn und seinen Heilsplan ... besser erkennt. Er öffne euch die Augen, damit ihr seht, zu welch wunderbarer Zukunft ihr berufen seid... Ihr sollt erfahren, wie unermesslich groß die Kraft ist, mit der Gott in uns, den Glaubenden, wirkt.“
Könnten wir das – dem Sinn nach – auch so sagen? Können wir das unterschreiben, was Paulus allen Ernstes glaubt? Haben wir zum Beispiel schon erfahren, wie unermesslich groß die Kraft ist, mit der Gott in uns, den Glaubenden, wirkt? Oder haben wir alles dazu getan uns abzulenken, damit Gottes unermessliche Kraft uns nicht zu sehr beansprucht, uns nicht zu sehr fasziniert und in Dienst nimmt?
Gottes Heiliger Geist kann nur dann in uns Menschen wirken, wenn wir uns nicht sperren gegen den reinigenden Sturm seiner Gottesleidenschaft, wenn wir ihn nicht verdrängen in den hintersten Winkel unseres Terminkalenders.
Von Gott her gesehen muss das Fest Christi Himmelfahrt nicht bedeuten, dass der Auferstandene uns allein zurücklässt hier auf dieser Erde, deren Vollendung immer noch aussteht. Von Gott her gesehen brauchen wir nicht heil- und orientierungslos herumlaufen und geistlos darüber jammern, wie gnadenlos es doch zugeht in dieser angeblich so bösen Welt.
Denn Christi Himmelfahrt - christlich gesehen und von Gott her betrachtet – bedeutet, dass der Erlöser und Befreier schon den Ehrenplatz zur Rechten Gottes eingenommen hat und schon damit begonnen hat, seinen guten Geist in die Herzen der Menschen zu pflanzen, damit sie selber anfangen, Frieden und Versöhnung zu säen und sich für Gottes Gerechtigkeit einzusetzen.
Christi Himmelfahrt - christlich betrachtet - bedeutet, mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben, aber ganz realistisch sich für das Energiepotential des Glaubens zu öffnen und daraus Kraft zu schöpfen.
Und gläubige Menschen wissen, dass diese Erfahrung der unermesslichen Kraft Gottes, die wir als Heiligen Geist bezeichnen, uns nicht einfach nebenbei in den Schoß fällt, sondern nur dann auf uns herabkommt, wenn wir uns betend dafür öffnen.
Gebe Gott, dass viele Christen – auch bei uns – geistesgegenwärtig genug sind, um in diesen Tagen zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten, aber auch danach Gottes Geist auf sich und andere herabzurufen. Denn das ist es, was wir am meisten brauchen – unter unserem weiß-blauen Himmel, unter dem die Welt zwar noch weitgehend in Ordnung, aber der Himmel für viele schon zu einem Fremdwort geworden ist.
Stadtpfarrer Franz Reitinger, Deggendorf St. Martin
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