Liebe Mitchristen!
Kennen Sie den sehenswerten Film „Im Winter ein Jahr“? Mich hat dieser hintergründige Film sehr beeindruckt.
Das Familiendrama, das der Film beleuchtet, ist schnell erzählt: Eine wohlsituierte Familie - die Mutter Innenarchitektin, der Vater akademischer Buchautor, die Tochter Studentin - findet keine Antwort auf die Frage, warum sich der erwachsene Sohn das Leben genommen hat. Der zurückgezogen lebende Maler Max Hollander, meisterhaft dargestellt durch den Schauspieler Josef Bierbichler, bekommt von den Eltern den Auftrag, die beiden Kinder in trauter Harmonie am Flügel im Wohnzimmer zu porträtieren. Doch der gut bezahlte Auftrag offenbart sehr schnell das komplizierte Beziehungsgeflecht einer Familie, in der jede und jeder auf ganz andere Weise trauert und gleichzeitig seine Trauer verbirgt. Die 22-jährige Tochter Lilli, die mit mäßigem Erfolg Tanz, Gesang, Schauspiel und Literatur studiert, wehrt sich gegen das verklärte Bild des nach außen hin immer erfolgreichen Bruders, mit dem sie oft verglichen wurde.
Und in der Art eines einfühlsamen, verständnisvollen guten Hirten geht der Maler Max Hollander diesen mühsamen Weg ihrer zunächst von Hass- und Neidgefühlen überlagerten Trauer mit, bis sie einen neuen, ganz anderen Kontakt knüpfen kann zu ihrem verstorbenen Bruder. Das Bild des Verstorbenen, das dabei unter den feinfühligen Augen und Händen des Künstlers entsteht, entspricht zwar nicht den Erwartungen der auftraggebenden Eltern, doch die seelsorgerische Begleitung der Tochter durch den Maler hat Früchte getragen: Der Todestag des Sohnes jährt sich zwar im Winter zum ersten Mal, doch die tanzenden Schneeflocken haben in den Augen seiner Schwester etwas Österliches bekommen, die Tür zu einem neuen Leben hat sich aufgetan.
Haben Sie, liebe Mitchristen, auch schon Ähnliches erlebt, dass jemand wie dieser Maler für Sie zu einem guten Hirten geworden ist, der oder (auch) die Sie durch eine schwierige Lebenssituation begleitet hat? Ich rede also von Menschen, die einem in so einer Situation wie ein Engel vorkommen, den der Himmel geschickt hat, weil er genau dann zur Stelle ist, wenn man ihn am dringendsten braucht.
Mich hat der Maler Max in diesem Film an mehrere Menschen erinnert, am meisten an einen genauso stämmigen Priester, der lange Zeit als Erzieher, als Präfekt und Direktor junge Menschen begleitet hat während der Gymnasialzeit. In dieser Zeit durfte ich ihn auch kennen lernen. Und als Schüler merkten wir bald, dass hinter dem angriffslustigen Boxerlächeln ein Mensch steckt, der ein offenes Ohr hat für die kleinen und großen Sorgen der damals noch zahlreichen Schüler in diesem kirchlichen Haus, dem er – aufgrund seiner eigenen ungebremsten Leselust – eine unerschöpfliche Fundgrube guter Literatur hinterließ, als er nach einigen Jahren eine andere Stelle übernahm.
Gute Hirten, Seelsorger und Seelsorgerinnen, Menschen, die einen ein Stück des Weges begleiten, die mit ehrlichem Interesse und wohltuender Zurückhaltung da sind, wenn man sie braucht – darum geht es auch heute, wenn wir am Welt-gebetstag für geistliche Berufe darum beten, dass auch in unserer Zeit viele Frauen und Männer den Mut finden, der ihnen von Gott zugedachten Berufung nachzuspüren und ihr entschlossen zu folgen.
Beten wir also heute (und nicht nur heute) um Menschen, auch in unseren Reihen, die bewusst und manchmal auch unbewusst in der Spur Jesu ihr Leben gestalten. Beten wir darum, dass viele bereit sind, immer wieder den Hirtenmantel Jesu Christi anzuziehen, um jemand nachzugehen, der nicht mehr allein aus dem Dickicht herausfindet, in das er sich verlaufen hat, der nicht mehr allein die Wunden verbinden kann, die das Leben ihm geschlagen hat. Beten wir darum, dass möglichst alle Christen an ihrem Platz im Beruf und im Ehrenamt, in der Familie, im Freundeskreis und in der Freizeit sich als Christen bewähren, die Jesu Hirtenqualitäten glaubwürdig zu leben verstehen.
Pfarrer Franz Reitinger
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