Georg Trakl darf man als einen der großen Dichter Österreichs und des ganzen deutschen Sprachraums bezeichnen. Er wurde 1887 in Salzburg geboren und verstarb im Alter von 27 Jahren 1914 an einer Überdosis Morphium. Kurz zuvor leistete er als Militärsanitäter Erste Hilfe bei einer schrecklichen Schlacht, wobei er allein gelassen wurde und völlig überfordert das Sterben vieler verletzter Soldaten in Kauf nehmen musste. Diese Überforderung hat ihn endgültig am Leben verzweifeln lassen.
Eines seiner letzten Gedichte mit dem Titel „Nachtlied“ wurde im Nachlass veröffentlicht:
Triff mich Schmerz! Die Wunde glüht.
Dieser Qual hab` ich nicht acht!
Sieh aus meinen Wunden blüht
Rätselvoll ein Stern zur Nacht!
Triff mich Tod! Ich bin vollbracht.
Deutlich bezieht sich Trakl in diesem Gedicht auf den Kreuzweg Jesu, auf Karfreitag. Er spricht von Tod, Wunden, Schmerz und Qual. Vor allem aber zitiert er den Satz Jesu am Kreuz: „Es ist vollbracht“. Georg Trakl tauscht aber Worte aus. Statt „Es“ heißt es bei ihm „Ich“. „Ich bin vollbracht“ bedeutet für Trakl wohl: Ich bin fertig mit diesem meinem Leben. Es ist genug. Menschen, Welt: es geht nicht mehr. Außer dem Ende, dem Tod bleibt nichts: Triff mich Tod! Ich bin vollbracht.
Das „Es ist vollbracht“ Jesu am Kreuz drückt das Gegenteil aus. Denn Jesus ist im Sterben nicht fertig mit den Menschen und der Welt. Sein Projekt, Gott und Menschen zusammenzuführen, geht im Tod seiner endgültigen Verwirklichung entgegen. Gott stirbt als Mensch. Und dieser eine sterbende Mensch am Kreuz wird in wenigen Stunden auferweckt werden. Das große Ja Gottes zum Menschen steht kurz bevor. In diesem Einen und für Alle. Es ist vollbracht.
Zurück zum Gedicht Georg Trakls: Sein Gedicht ist nicht völlig ohne Hoffnung. Er schreibt: Sieh aus meinen Wunden blüht rätselvoll ein Stern zur Nacht. Trakl hofft, dass sein eigenes Leiden nicht vergebens war. Seine Wunden sollen zum Stern werden. Zum Stern, der mit seinem Licht trösten kann. Zum Stern, der Orientierung bieten kann in der Nacht. Wie das gehen soll ist nicht klar und verständlich, es ist rätselvoll, wie Trakl schreibt.
Wir denken vom Leiden Jesu und seinen Wunden nicht anders. Jesus hat nicht vergebens gelitten. Sein Leid, seine Wunden, können zu Sternen werden in unserer Nacht. Dass wir getröstet werden, wenn wir leiden. Dass wir Wege finden, wenn wir glauben, es geht nicht mehr weiter. Wir könnnen nur hoffen, dass wir in der Nacht und den dunklen Stunden unseres Lebens dieses Licht sehen, das Jesus und jeder leidenden Mensch uns zurück gelassen hat als Trost und Wegweiser.
Ich möchte abschließend aus einem Brief Georg Trakls an seinen Freund und Förderer Ludwig von Ficker zitieren. Es ist ein Brief voller Verzweiflung und Selbstzweifel. Der letzte Satz dieses Briefes lautet: „Liebe - und man wäre erlöst.“ Es ist sein Schrei und seine abgrundtiefe Sehnsucht: „Liebe - und man wäre erlöst.“ Heute am Karfreitag dürfen wir es wagen, diesen Satz zu ändern: „Liebe - und wir sind erlöst.“
Sebastian Nüßl
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