Noch einmal entkommen, noch einmal der Pandemie und ihren Folgen entronnen. Manche von uns werden heuer unter diesem Vorzeichen das Osterfest feiern - so weit ein Feiern überhaupt
möglich ist.
Noch einmal entkommen, noch einmal der Pandemie und ihren Folgen entronnen? Nicht wenige werden ein großes Fragezeichen setzen ans Ende dieses Satzes, weil es ja mitten in der dritten Welle der Pandemie keineswegs ausgemacht ist, wie sie ausgehen wird, ob und wann wir dann wirklich sagen können, dass wir der Katastrophe gerade noch einmal entkommen sind.
Und es gibt ja schon jetzt mehr als genug Menschen - auch in unserer Pfarrgemeinde, auch in unserer Stadt, die an den Folgen leiden oder durch die Nebenwirkungen des Lockdown massiv beeinträchtigt sind, ganz zu schweigen von denen, die vor der Zeit gestorben sind oder den Tod naher Angehöriger zu beklagen haben.
Doch gibt es nicht auch zu normalen Zeiten - bei uns und anderswo - viel zu viele Menschen, die kein normales Leben führen können, die bestenfalls das Stichwort "noch einmal entkommen" als Überschrift über ihr Leben setzen, weil man es eher als Überleben bezeichnen muss? Ich denke da zum Beispiel an die Überlebenden eines Unfalls, einer Katastrophe, eines Krieges, einer Flucht, eines Missbrauchs. Ja, leider Gottes übersteigt die Zahl der Menschen unsere Vorstellungen, die mit einem solchen Trauma leben müssen, für die die existentiellen Lesungen der Osternacht, die allesamt um das Thema Leben und Tod kreisen, keine hochdramatischen Geschichten aus längst vergangenen Zeiten sind, sondern erlebte Wirklichkeit, eine Realität, die nicht selten Nacht für Nacht wiederkehrt in ihren Angstträumen.
Nur eines hat sich heuer verändert - in dieser Osternacht, nach einem Jahr, in dem keine gemeinsamen Ostergottesdienste möglich waren: Die Lesungen der Osternacht sind näher an unsere Lebenswirklichkeit herangerückt. Und wir hören und lesen wohl alle die kantige Härte der Lesungen dieser Nacht ganz anders als sonst, als Texte, die auch von uns und unserem Ringen um Antworten handeln, von uns und unserem Hineingestellt-sein in ein Leben, das unweigerlich auf den Tod zuläuft, von uns und unserem Hoffen auf Rettung und Heil, auf Erlösung und Befreiung aus den Klauen des Todes, von uns und unserem unbändigen Durst nach einem Leben in Fülle, in Freiheit und ohne die drückende Schwere einer ungewissen Zukunft, von uns und unserer manchmal hilflosen Liebe für die Menschen, die wir gern haben, von uns und unserem Willen zum Guten, zum rechten Handeln für die bedrohte Schöpfung.
Von all dem und von noch viel mehr ist in der Osternacht die Rede. Die Lesungen und das Osterevangelium haben aber eine verblüffende Antwort für uns parat. Denn es finden sich darin kaum Handlungsanweisungen, wie wir dahin kommen können, wonach wir uns so sehr sehnen. Vielmehr wird immer wieder mit Erstaunen festgestellt, dass Gott das Entscheidende schon getan hat.
Da war die Schöpfungserzählung, die nicht nur am sechsten Tag nach der Erschaffung des Menschen, sondern nach jedem Schöpfungstag in den Kehrvers einstimmt: "Und Gott sah, dass es gut war." Haben wir uns dieses Loblied auf die Schöpfung schon zueigen gemacht oder verharren wir noch in der besserwisserischen Position des Menschen, der den Herrschaftsauftrag Gottes missverstanden hat und mit seinen oft unbedachten und verantwortungslosen Korrekturversuchen das Ganze der Schöpfung eher zerstört als verbessert? Der siebte Tag wäre dafür gedacht, auszuruhen von unserem Werk und den staunenden Blick auf Gottes gute Schöpfung wieder zurückzugewinnen.
Und wie ist das mit dieser schwierigen Lesung über Abraham, der Gottes Stimme ganz deutlich zu hören meint, seinen Sohn Isaak, das Kind der Verheißung, Gott zurückzugeben und sein Leben zu opfern? Hören wir in dieser Geschichte den Anruf Gottes, aufzubrechen aus dem Erlernten und Gewohnten, hören wir die Herausforderung, uns auf Gottes Stimme einzulassen, auch dem Fremden und Ver-störenden im Wort Gottes nachzugehen, damit wir am Ende dieses Weges Gott und seine Botschaft besser kennen lernen? Ist unser Vertrauen zu Gott schon groß genug, dass seine Erprobungsgeschichten mit uns nicht in banalen und grausamen Strafgerichten enden, sondern in der immer wieder überraschenden Eröffnung einer viel größeren Zukunft, die Gott uns zugedacht hat?
Auch in dieser Pandemie, die uns im Moment zugemutet wird, wird sich wohl am Ende zeigen, dass die Spuren der Heilsgeschichte, die Gott mit uns gehen möchte, deutlicher ins Gewicht fallen als alle Verluste, die wir dadurch erleiden. Die Voraussetzung dafür ist allerdings unser hörendes Herz, unsere Bereitschaft Gott mehr und Anderes und Neues zuzutrauen, unsere Bereitschaft zum Exodus, zum Auszug aus dem Sklavenhaus, aus dem, was uns zu sehr ans Materielle und Irdische bindet.
Interessant ist auf jeden Fall, dass das Volk Israel in dieser wunderbaren Befreiung aus der satten, aber abhängigen Existenz in Ägypten die Gründungsgeschichte ihres Glaubens an Gott feiert. Und wir Christen sind ja mithineingenommen in den Glauben Israels. Deshalb darf die Lesung von der wunderbaren Errettung aus dem Sklavenhaus Ägyptens in keiner Osternacht fehlen. Sind wir schon innerlich frei genug von den Zwängen unseres Lebens, von den Zwängen der Umstände und Konventionen, dass wir nach den Freiheitsweisungen der Gebote Gottes zu leben verstehen?
Und anknüpfend an die Lesung aus dem Römerbrief können wir fragen: Sind wir durch die Taufe auf den Tod Jesu schon gestorben für die Sünde und für alles, was unser Leben klein und fremdbestimmt, egoistisch und verschlossen für die Liebe zu Gott und den Menschen werden lässt? Sind wir durch unsere Taufe und unser gläubiges Leben schon mit Christus auferstanden zu einem Leben in Fülle, das uns auch so manche widrigen Umstände nicht entreißen können?
An Ostern geht es um Tod und Leben. Es geht um unseren Glauben an die Auferstehung, der die Widerstandskraft unserer Seele stärkt, weil wir mit dieser Perspektive auf das bleibende und ewige Leben dem Tod ins Gesicht lachen, Vorläufiges als vorläufig zu nehmen lernen und in allem nach dem Wesentlichen suchen, nach der Nähe Gottes und der Qualität der Liebe, die wir in Jesu Leben und Sterben und Auferstehen meisterhaft verwirklicht finden.
Lassen wir uns diese österliche Sicht der Dinge nicht nehmen, wappnen wir uns mit österlicher Geduld und Gelassenheit für die verbleibende Zeit dieser Pandemie und unserer ganzen Pilgerschaft durch dieses Leben, damit wir dereinst als fröhliche Heilige bei Gott ankommen, wo er uns einlädt zu seinem österlichen Festmahl. Und dort, spätestens dort wird es keine Abstandsregeln und keine lästigen FFP-2-Masken mehr geben. Und spätestens dort wird es auch wieder möglich sein, in ein gemeinsames österliches Halleluja einzustimmen.
Liebe Leserinnen und Leser, ich wünsche Ihnen und Ihren Familien ein frohes und gesegnetes Osterfest 2021.
Ihr Stadtpfarrer Franz Reitinger, Deggendorf St. Martin
Noch einmal entkommen, noch einmal der Pandemie und ihren Folgen entronnen? Nicht wenige werden ein großes Fragezeichen setzen ans Ende dieses Satzes, weil es ja mitten in der dritten Welle der Pandemie keineswegs ausgemacht ist, wie sie ausgehen wird, ob und wann wir dann wirklich sagen können, dass wir der Katastrophe gerade noch einmal entkommen sind.
Und es gibt ja schon jetzt mehr als genug Menschen - auch in unserer Pfarrgemeinde, auch in unserer Stadt, die an den Folgen leiden oder durch die Nebenwirkungen des Lockdown massiv beeinträchtigt sind, ganz zu schweigen von denen, die vor der Zeit gestorben sind oder den Tod naher Angehöriger zu beklagen haben.
Doch gibt es nicht auch zu normalen Zeiten - bei uns und anderswo - viel zu viele Menschen, die kein normales Leben führen können, die bestenfalls das Stichwort "noch einmal entkommen" als Überschrift über ihr Leben setzen, weil man es eher als Überleben bezeichnen muss? Ich denke da zum Beispiel an die Überlebenden eines Unfalls, einer Katastrophe, eines Krieges, einer Flucht, eines Missbrauchs. Ja, leider Gottes übersteigt die Zahl der Menschen unsere Vorstellungen, die mit einem solchen Trauma leben müssen, für die die existentiellen Lesungen der Osternacht, die allesamt um das Thema Leben und Tod kreisen, keine hochdramatischen Geschichten aus längst vergangenen Zeiten sind, sondern erlebte Wirklichkeit, eine Realität, die nicht selten Nacht für Nacht wiederkehrt in ihren Angstträumen.
Nur eines hat sich heuer verändert - in dieser Osternacht, nach einem Jahr, in dem keine gemeinsamen Ostergottesdienste möglich waren: Die Lesungen der Osternacht sind näher an unsere Lebenswirklichkeit herangerückt. Und wir hören und lesen wohl alle die kantige Härte der Lesungen dieser Nacht ganz anders als sonst, als Texte, die auch von uns und unserem Ringen um Antworten handeln, von uns und unserem Hineingestellt-sein in ein Leben, das unweigerlich auf den Tod zuläuft, von uns und unserem Hoffen auf Rettung und Heil, auf Erlösung und Befreiung aus den Klauen des Todes, von uns und unserem unbändigen Durst nach einem Leben in Fülle, in Freiheit und ohne die drückende Schwere einer ungewissen Zukunft, von uns und unserer manchmal hilflosen Liebe für die Menschen, die wir gern haben, von uns und unserem Willen zum Guten, zum rechten Handeln für die bedrohte Schöpfung.
Von all dem und von noch viel mehr ist in der Osternacht die Rede. Die Lesungen und das Osterevangelium haben aber eine verblüffende Antwort für uns parat. Denn es finden sich darin kaum Handlungsanweisungen, wie wir dahin kommen können, wonach wir uns so sehr sehnen. Vielmehr wird immer wieder mit Erstaunen festgestellt, dass Gott das Entscheidende schon getan hat.
Da war die Schöpfungserzählung, die nicht nur am sechsten Tag nach der Erschaffung des Menschen, sondern nach jedem Schöpfungstag in den Kehrvers einstimmt: "Und Gott sah, dass es gut war." Haben wir uns dieses Loblied auf die Schöpfung schon zueigen gemacht oder verharren wir noch in der besserwisserischen Position des Menschen, der den Herrschaftsauftrag Gottes missverstanden hat und mit seinen oft unbedachten und verantwortungslosen Korrekturversuchen das Ganze der Schöpfung eher zerstört als verbessert? Der siebte Tag wäre dafür gedacht, auszuruhen von unserem Werk und den staunenden Blick auf Gottes gute Schöpfung wieder zurückzugewinnen.
Und wie ist das mit dieser schwierigen Lesung über Abraham, der Gottes Stimme ganz deutlich zu hören meint, seinen Sohn Isaak, das Kind der Verheißung, Gott zurückzugeben und sein Leben zu opfern? Hören wir in dieser Geschichte den Anruf Gottes, aufzubrechen aus dem Erlernten und Gewohnten, hören wir die Herausforderung, uns auf Gottes Stimme einzulassen, auch dem Fremden und Ver-störenden im Wort Gottes nachzugehen, damit wir am Ende dieses Weges Gott und seine Botschaft besser kennen lernen? Ist unser Vertrauen zu Gott schon groß genug, dass seine Erprobungsgeschichten mit uns nicht in banalen und grausamen Strafgerichten enden, sondern in der immer wieder überraschenden Eröffnung einer viel größeren Zukunft, die Gott uns zugedacht hat?
Auch in dieser Pandemie, die uns im Moment zugemutet wird, wird sich wohl am Ende zeigen, dass die Spuren der Heilsgeschichte, die Gott mit uns gehen möchte, deutlicher ins Gewicht fallen als alle Verluste, die wir dadurch erleiden. Die Voraussetzung dafür ist allerdings unser hörendes Herz, unsere Bereitschaft Gott mehr und Anderes und Neues zuzutrauen, unsere Bereitschaft zum Exodus, zum Auszug aus dem Sklavenhaus, aus dem, was uns zu sehr ans Materielle und Irdische bindet.
Interessant ist auf jeden Fall, dass das Volk Israel in dieser wunderbaren Befreiung aus der satten, aber abhängigen Existenz in Ägypten die Gründungsgeschichte ihres Glaubens an Gott feiert. Und wir Christen sind ja mithineingenommen in den Glauben Israels. Deshalb darf die Lesung von der wunderbaren Errettung aus dem Sklavenhaus Ägyptens in keiner Osternacht fehlen. Sind wir schon innerlich frei genug von den Zwängen unseres Lebens, von den Zwängen der Umstände und Konventionen, dass wir nach den Freiheitsweisungen der Gebote Gottes zu leben verstehen?
Und anknüpfend an die Lesung aus dem Römerbrief können wir fragen: Sind wir durch die Taufe auf den Tod Jesu schon gestorben für die Sünde und für alles, was unser Leben klein und fremdbestimmt, egoistisch und verschlossen für die Liebe zu Gott und den Menschen werden lässt? Sind wir durch unsere Taufe und unser gläubiges Leben schon mit Christus auferstanden zu einem Leben in Fülle, das uns auch so manche widrigen Umstände nicht entreißen können?
An Ostern geht es um Tod und Leben. Es geht um unseren Glauben an die Auferstehung, der die Widerstandskraft unserer Seele stärkt, weil wir mit dieser Perspektive auf das bleibende und ewige Leben dem Tod ins Gesicht lachen, Vorläufiges als vorläufig zu nehmen lernen und in allem nach dem Wesentlichen suchen, nach der Nähe Gottes und der Qualität der Liebe, die wir in Jesu Leben und Sterben und Auferstehen meisterhaft verwirklicht finden.
Lassen wir uns diese österliche Sicht der Dinge nicht nehmen, wappnen wir uns mit österlicher Geduld und Gelassenheit für die verbleibende Zeit dieser Pandemie und unserer ganzen Pilgerschaft durch dieses Leben, damit wir dereinst als fröhliche Heilige bei Gott ankommen, wo er uns einlädt zu seinem österlichen Festmahl. Und dort, spätestens dort wird es keine Abstandsregeln und keine lästigen FFP-2-Masken mehr geben. Und spätestens dort wird es auch wieder möglich sein, in ein gemeinsames österliches Halleluja einzustimmen.
Liebe Leserinnen und Leser, ich wünsche Ihnen und Ihren Familien ein frohes und gesegnetes Osterfest 2021.
Ihr Stadtpfarrer Franz Reitinger, Deggendorf St. Martin
Bild: Ruth Lynen
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