Direkt zum Hauptbereich

Aschermittwoch 2021 - das Hungertuch von Günter Reinhardt - Eine Predigt von Pfarrer Franz Reitinger

Lesungen: Genesis 3,1-8; 2. Korintherbrief 5,20-6,2; Matthäus 6,1-6.16-18

Liebe Mitchristen!

Ein eigens für unsere Pfarrkirche angefertigtes minimalistisches Kunstwerk von Günter Reinhardt dient uns in dieser Fastenzeit als Hungertuch. Und ich bin ihm dankbar für dieses kraftvolle und gleichzeitig unaufdringliche Werk, in das sich die meisten wohl erst einlesen müssen, weil es unsere bilderflutgewohnten Augen mit etwas Ungewohntem konfrontiert.

Das Fasten der Augen, das uns dieses Kunstwerk abverlangt, die Schwarz-Weiß-Malerei aus Buchstaben, mehr oder weniger verständlichen Zeichen und Zahlen wirft uns aber zurück auf etwas Wesentliches. Und ich meine, dass gerade dieses Hungertuch und die Auseinandersetzung damit zu einer hilfreichen Therapie für unseren Glauben werden könnten.

Wie unser Alltag, der zum Schutz vor der Pandemie immer noch auf Weniges reduziert ist, reduziert der Künstler mit seinen Schriftzeichen auch unseren Blick auf die Glaubensinhalte. Nicht um sie zu verwässern oder gar zu zerstören, sondern um uns eine Spur anzubieten, wo der Kern unseres Glaubens zu finden sein könnte, das Beständige, das auch eine Krise überdauert.

Neben einigen Zeichen, Hieroglyphen ähnlich, die nicht eindeutig zuzuordnen sind, und einer beliebigen Zahlenreihe, die der Welt der Digitalisierung entsprungen ist, schält sich nur ein Wort heraus, das uns bekannt vorkommt, das Wort "Verantwortung".

Günter Reinhardt hat "Verantwortung" aber so geschrieben, dass man ebenso die Bestandteile "Wort" und "Antwort" als wichtige Bausteine erkennen kann, aus denen Verantwortung entsteht. Doch neben diesen Worten "Wort", "Antwort" und "Verantwortung" entdeckt man unschwer auch das Symbol der Schlange.

Und damit sind wir bei etwas ganz Wichtigem, was uns in der Österlichen Bußzeit beschäftigen könnte und vielleicht sogar umtreiben sollte. Denn diese Schlange erinnert nicht nur an die bekannte Sündenfallgeschichte, von der wir einen Teil als erste Lesung gehört haben, sie wirkt auf mich auch wie ein Fragezeichen, hinter die Worte "Wort", "Antwort" und "Verantwortung" gesetzt.

Glauben wir dem Wort, dem Wort Gottes? Glauben wir Jesus, der als wichtigstes Wort Gottes bezeichnet wird, glauben wir ihm und seiner frohen Botschaft? Glauben wir daran, dass wir durch sein Sterben und Auferstehen schon erlöst sind - aus allem Ausgeliefertsein an das Böse, an die Sünde, an den Tod? Können wir diesem Gott noch vertrauen, wenn es so viel Unbegreifliches in seiner guten Schöpfung gibt, so viel Rätselhaftes, so viel Unheil, so viel Leiden, das Unschuldigen zugemutet wird?

Und wenn wir anfangen, diese Fragen zuzulassen, dann kommt sehr schnell die Dynamik der Versucher-Stimme hinzu, wie wir sie von der Sündenfallgeschichte in der Bibel kennen. Da wird dem Menschen am Anfang von Gott gesagt, dass ihm alles erlaubt ist mit einer kleinen Ausnahme. Von allen Bäumen, von allen Früchten im Paradies darf der Mensch essen, nur von dem einen Baum darf er nicht essen, weil er dann sterben wird. Ein sehr vernünftig klingendes Verbot inmitten all der Möglichkeiten, die dem Menschenpaar einen großen Freiraum bieten sich zu verwirklichen und zu entfalten.

Doch dann kommt die Stimme des Versuchers hinzu, diese innere Stimme, die wir alle zu gut kennen, diese Stimme, die der Mensch nicht als Teil seiner selbst wahrhaben will, diese Stimme, die er als etwas von außen Kommendes bezeichnet und im Zischeln der Schlange zu vernehmen meint: "Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen?" Und selbst wenn wir mit Eva die Sache ganz schnell richtig stellen, dass alles erlaubt und nur eines verboten ist, so beginnt der Zweifel, dieser unnachgiebige Querdenker, doch immer weiter nachzubohren. Wir verschärfen selber das Verbot und sind im nächsten Moment schon drauf und dran es zu übertreten und auch andere in das ganze Schlamassel mit hineinzuziehen.

Die Schlange als Fragezeichen hinter dem "Wort", hinter all dem, was wir eigentlich als Anruf Gottes an uns verstanden haben. Und dann ist die Schlange in gewisser Weise auch das Symbol für unsere Fragezeichen, die wir hinter die "Antwort" setzen, hinter unsere Antwort, die wir Gott und seiner Schöpfung und unseren Mitmenschen geben sollten.

"Warum immer ich? Könnten nicht auch mal die anderen sich engagieren, sich einbringen?"

Und zuletzt die Schlange als Fragezeichen hinter dem Wort "Verantwortung"? "Sind wirklich wir verantwortlich oder müssen wir nur die Suppe auslöffeln, die uns andere eingebrockt haben? Warum soll ich verantwortlich oder mitverantwortlich sein für etwas, das ich gar nicht wollte, für etwas, das ich in seiner Komplexität gar nicht durchschaue? Und überhaupt: Das bisschen Luxus werde ich mir wohl noch gönnen dürfen! Ich habe mir schließlich auch nicht ausgesucht, wo und unter welchen Umständen ich geboren werde und aufwachse. Da sind schon viel eher die Gene schuld und die Gesellschaft, ich jedenfalls nicht. Man will ja nicht zu den ewigen Verlierern gehören. Da müssen eben die anderen selber schauen, wo sie bleiben."

Ganz aus dem Leben gegriffen schildert die Sündenfallgeschichte, dass Adam und Eva, der Mann und die Frau, die Schuld aufeinander schieben und auf die Schlange statt einmal zuzugeben: "Ja, das war ich. Ich habe einen Fehler gemacht. Es tut mir leid." Drei kurze Sätze, aber drei Sätze, die schwerer von den Lippen kommen als die längsten Ausreden.

Doch ganz anders Gott: In der zweiten Lesung heute am Aschermittwoch legt uns der Apostel Paulus eine Bitte ans Herz, die wir jederzeit, aber besonders in dieser österlichen Bußzeit beherzigen sollten: "Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott ver-söhnen." Das heißt: Gott zwingt uns nicht, er manipuliert uns nicht, er lässt uns aber durch seine Gesandten ausrichten, dass er uns darum bittet, in die angebotene Chance der Versöhnung einzuwilligen.

Wort - Antwort - Verantwortung: Wie wäre es, wenn wir, wenn Sie und ich in dieser Fastenzeit uns verstärkt darum bemühen, den Infragestellungen des Glaubens und unserer Verantwortung ein besonderes Trainingsprogramm entgegenzusetzen - ein Trainingsprogramm aus Gebet, Verzicht und solidarischer Hilfe für die Bedürftigen?

Das Evangelium schlägt genau diese drei Wege vor und gibt uns Tipps, worauf zu achten ist, damit sie nicht nur zu einem Programm werden, wie wir unser Image aufpolieren können.

Das Gebet - andocken an das Wort, Gott beim Wort nehmen , ihn um alles bitten, wo wir seine Hilfe brauchen. Und das Vertrauen wieder wachsen lassen, dass er unser Rufen hört, das wir Tag und Nacht an ihn richten.

Das Fasten, der Verzicht, den wir uns auferlegen, als Weg dem guten Gott zu antworten, der uns, aber auch allen anderen Mitmenschen und Mitgeschöpfen diese Erde anvertraut hat, demit wir auf ihr und von ihr leben. Der Verzicht lehrt uns, aufei-nander zu achten, einander das Leben zu gönnen und eine Kultur der Dankbarkeit und Zufriedenheit wieder mehr einzuüben.

Und die solidarische Hilfe für die Bedürftigen als Zeichen der aktiv angenommenen Verantwortung, als Geste, Gerechtigkeit wiederherzustellen, wo weltwirtschaftliche Zusammenhänge uns reich und andere arm gemacht haben. Wenigstens ein paar kleine Schritte, Mitverantwortung zu übernehmen für die Ungerechtigkeiten dieser Welt, wären möglich. Eine Spende für Misereor zum Beispiel oder das konsequente Einkaufen im Eine-Welt-Laden, um wenigstens für Reis und Kaffee, Tee und Orangensaft einen Preis zu zahlen, der den Bauern und ihren Familien garantiert, davon leben zu können.

Liebe Mitchristen, lassen wir uns anregen, in dieser österlichen Bußzeit das Wort "Verantwortung" wieder groß schreiben zu lernen und es an die Stelle all der resignativen Worte und Botschaften zu setzen, die uns gerade in dieser Pandemie einreden wollen, wir könnten sowieso nichts ändern. Noch im Tod am Kreuz hat Jesus alles von Grund auf verändert, gerade durch die Hingabe seines Lebens hat er uns immunisiert gegen das Gift der Gleichgültigkeit und aller Lieblosigkeit. Bereiten wir uns deshalb in diesen heiligen 40 Tagen ganz bewusst vor auf das Gedenken seines Todes und das Fest seiner Auferstehung

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Kann Kirche im Januar 2022 noch Heimat sein? Predigt zum 4. Sonntag i. J.

Um die Kirche steht es schlecht. So viele Unklarheiten, so viele patriarchale Strukturen, Missbrauch, Vertuschung, unguter Umgang mit Homosexualität und anderes mehr. Nicht wenige haben das Gefühl, die Kirche, die ihnen Heimat war, bricht aus ihrem Leben weg. Heimat zu verlieren aber ist schmerzhaft.  Auch Jesus ist im Evangelium vom heutigen Sonntag dabei, seine Heimat zu verlieren. Nicht nur wird kein Prophet in seiner Heimat anerkannt, wie er im heutigen Evangelium sagt. Noch dazu provoziert Jesus die Menschen seiner Heimat. Denn er weist auf Ereignisse hin, bei denen sich Gott nicht als Gott der Juden erwiesen hat, sondern als Gott von Fremden - beispielsweise eines Syrers. Der wurde vom Aussatz geheilt, nicht die Kranken Israels. Provokationen, die die Menschen seiner Heimat verärgern und fast zur Lynchung Jesu führen. Doch der schreitet mitten durch die Menschenmenge und geht weg, wie in dieser Stelle aus dem Lukasevangelium zu lesen ist. Die Provokation Jesu ist die Aussage: Go

Zum 3. Fastensonntag - Gedanken von Pfarrer Franz Reitinger

Die Gleichnisgeschichte, die Jesus im heutigen Evangelium erzählt, kann man ganz leicht falsch verstehen. Gott ist nicht, wie man denken könnte, so wie der Besitzer dieses Weinbergs, der am liebsten den unfruchtbaren Feigenbaum umhauen würde. Gott ist so, wie diese Geschichte ausgeht. Gott hat Geduld mit uns Menschen, auch wenn wir oft genug wie nutzlose und unfruchtbare Bäume herumstehen. Doch die Geduld Gottes hat auch ein Ziel: Gott traut es uns zu, dass wir die Zeit unseres Lebens gut nutzen. Und Jesus will uns mit seinem Gleichnis dazu motivieren, gleich heute damit zu beginnen – damit zu beginnen umzukehren, uns nicht nur mit halber, sondern mit ganzer Kraft um das Gute zu mühen, fruchtbar zu werden für das Reich Gottes. Und noch ein Zweites können wir aus dem Evangelium lernen. Manchmal meinen wir – genauso wie die Leute, die zu Jesus kommen und ihm die neuesten Nachrichten erzählen, was wieder Schreckliches passiert ist – manchmal meinen wir, ein Schicksalsschlag, ein plötzli

Auszug aus der Predigt am Faschingssonntag, 27.02.2022 von Stadtpfarrer Franz Reitinger

 Liebe Mitchristen, liebe Schwestern, liebe Brüder, bevor er so richtig begann, ist der Fasching auch heuer wieder von der Bildfläche verschwunden. Hatte die Corona-Pandemie schon vieles unterbunden, war die Lust auf Karneval mit dem Münchner Gutachten um Missbrauch  und Vertuschung schon merklich reduziert, so hat der Krieg, die Aggression Putins gegen die Ukraine die meisten von uns auf einen Tiefpunkt der Faschingslaune geführt. Wie sollten wir uns auch als Narren gebärden, während Raketen und Bomben, Flugzeuge und Panzer wehrlose  Menschen gefährden. Ich sage es deutlich, wenn auch in Reimen. Die Lage in Europa ist seit Donnerstag nur noch zum Weinen. Die Ukraine und sein demokratisch gewählter Präsident ist in höchster  Gefahr. Es steht zu befürchten, dass er nicht das letzte Opfer von Putins menschenverachtender Diktatur war. Ja, meine lieben Mitchristen, ich wäre so gerne auf die Kanzel gegangen, Und hätte so gern mit harmlosen, lustigen Versen Sie eingefangen. Doc