Direkt zum Hauptbereich

Gedanken zum "Hungertuch" und zum ersten Fastensonntag von Diakon Sebastian Nüßl



Wer zur Zeit in die Kirche St. Martin kommt, dem fällt es sofort auf: Nicht das Altarbild des Hochaltars ist vorne zu sehen, sondern eine vier Meter hohe und zwei Meter breite Papierbahn bemalt mit vielen kleinen und großen Zeichen. Günter Reinhardt, Bildhauer und Grafiker aus Neuhausen, hat dieses Kunstwerk exklusiv für die Pfarrei geschaffen. Es wird die Kirchenbesucher durch die Fastenzeit 2021 begleiten.

Das bestimmende Thema dieses Fastentuches mit dem Titel „Verant-wort-ung“ sind Zeichen und Worte. So fällt auf den ersten Blick auf, dass die Entwicklung menschlicher Schriftzeichen von oben nach unten dargestellt wird. Das beginnt mit Symbolen aus Felsenmalereien wie Fisch, Stierkopf und Welle, geht über die Entwicklung von Buchstaben bis zur digitalisierten Schrift, die nur noch aus 1 und 0 besteht.

Günter Reinhardt ging es aber um mehr. Das zeigt er, indem er den Begriff „Wort“ an zentraler Stelle auf die Papierbahn gemalt hat. Das Wort aber ist die Grundlage des Mensch-Seins. Worte bedeuten Kommunikation und Verständnis. Worte drücken Gefühle aus. Worte können heilen und töten. Wir lesen, schreiben und denken in Worten.

Und hier kommt auch der Glaube ins Spiel. Das „Wort“ steht im Mittelpunkt des Christentums, denn „Gott war das Wort“ wie es im Johannesevangelium heißt. Vom Wort weiß die Heilige Schrift: Es ist schöpferisch - denn mit dem Wort „Es werde..“ fängt alles an. Es ist kraftvoll, denn „es bewirkt was ich will, und erreicht all das, wozu ich es ausgesandt habe“ spricht Gott im Buch Jesaja. Im Kunstwerk von Günter Reinhardt lässt sich die schöpferische Kraft des Wortes (Gottes) erspüren, wenn man sieht, wie sich aus dem Durcheinander der Zeichen die Klarheit der Buchstaben herausschält.

Beim längeren Hinschauen setzt man irgendwann die übrigen Buchstaben und Silben, die zu sehen sind, zu einem Wort zusammen. Man liest vielleicht zuerst „Antwort“ und schließlich „Verantwortung“. Und genauso könnte es gedacht sein: Unsere Antwort auf die schöpferische Tat Gottes, der uns und die Welt werden ließ, ist die Verantwortung für die Welt und die Menschen. Mir klingt der Begriff Verantwortung allerdings sehr nach Anstrengung und Pflicht. Geht es nicht eher um Leidenschaft? Gott will unseren leidenschaftliche Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit, für die Erhaltung der Schöpfung und die Zukunft der Menschheit.

Beim Gottesdienst am heutigen ersten Fastensonntag sind wir ebenfalls mit Worten konfrontiert. Wir hören im Evangelium die Worte Jesu. Die klingen aufs erste Hören aber so gar nicht nach der schöpferischer Kraft, die das Wort Gottes auszeichnet und doch auch die Worte Jesu, des Sohnes Gottes auszeichnen müsste. „Kehrt um. Das Reich Gottes ist nahe.“ Jesus will uns anscheinend verunsichern und klein machen. Wir sind und bleiben Sünder, sind immer auf dem falschen Weg. So scheint es und so wird es leider oft auch ausgelegt.

Dabei meint Jesus das genaue Gegenteil. Er sagt uns: Gott ist euch mit seiner schöpferischen Kraft nahe. Sein Reich ist nahe. Ihr seid fähig und ihr seid dazu berufen, euch diesem Reichtum zuzuwenden. Ohne Angst. Ihr könnt Kreativität, Sympathie, Schönheit leben und erleben viel mehr als ihr es selbst für möglich haltet. „Kehrt um“ ist ein Ermutigungwort. Geht den Schritt in das schöpferische Reich Gottes. Ihr könnt es.

Ich möchte mit der Einladung enden, sich ein eigenes Bild vom "Hungertuch" von Günter Reinhardt zu machen, in die Kirche St. Martin zu kommen zum Innehalten, zum Schauen und zum Entdecken.

Text und Foto: Sebastian Nüßl, Diakon

 

 

 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Kann Kirche im Januar 2022 noch Heimat sein? Predigt zum 4. Sonntag i. J.

Um die Kirche steht es schlecht. So viele Unklarheiten, so viele patriarchale Strukturen, Missbrauch, Vertuschung, unguter Umgang mit Homosexualität und anderes mehr. Nicht wenige haben das Gefühl, die Kirche, die ihnen Heimat war, bricht aus ihrem Leben weg. Heimat zu verlieren aber ist schmerzhaft.  Auch Jesus ist im Evangelium vom heutigen Sonntag dabei, seine Heimat zu verlieren. Nicht nur wird kein Prophet in seiner Heimat anerkannt, wie er im heutigen Evangelium sagt. Noch dazu provoziert Jesus die Menschen seiner Heimat. Denn er weist auf Ereignisse hin, bei denen sich Gott nicht als Gott der Juden erwiesen hat, sondern als Gott von Fremden - beispielsweise eines Syrers. Der wurde vom Aussatz geheilt, nicht die Kranken Israels. Provokationen, die die Menschen seiner Heimat verärgern und fast zur Lynchung Jesu führen. Doch der schreitet mitten durch die Menschenmenge und geht weg, wie in dieser Stelle aus dem Lukasevangelium zu lesen ist. Die Provokation Jesu ist die Aussage: Go

Zum 3. Fastensonntag - Gedanken von Pfarrer Franz Reitinger

Die Gleichnisgeschichte, die Jesus im heutigen Evangelium erzählt, kann man ganz leicht falsch verstehen. Gott ist nicht, wie man denken könnte, so wie der Besitzer dieses Weinbergs, der am liebsten den unfruchtbaren Feigenbaum umhauen würde. Gott ist so, wie diese Geschichte ausgeht. Gott hat Geduld mit uns Menschen, auch wenn wir oft genug wie nutzlose und unfruchtbare Bäume herumstehen. Doch die Geduld Gottes hat auch ein Ziel: Gott traut es uns zu, dass wir die Zeit unseres Lebens gut nutzen. Und Jesus will uns mit seinem Gleichnis dazu motivieren, gleich heute damit zu beginnen – damit zu beginnen umzukehren, uns nicht nur mit halber, sondern mit ganzer Kraft um das Gute zu mühen, fruchtbar zu werden für das Reich Gottes. Und noch ein Zweites können wir aus dem Evangelium lernen. Manchmal meinen wir – genauso wie die Leute, die zu Jesus kommen und ihm die neuesten Nachrichten erzählen, was wieder Schreckliches passiert ist – manchmal meinen wir, ein Schicksalsschlag, ein plötzli

Auszug aus der Predigt am Faschingssonntag, 27.02.2022 von Stadtpfarrer Franz Reitinger

 Liebe Mitchristen, liebe Schwestern, liebe Brüder, bevor er so richtig begann, ist der Fasching auch heuer wieder von der Bildfläche verschwunden. Hatte die Corona-Pandemie schon vieles unterbunden, war die Lust auf Karneval mit dem Münchner Gutachten um Missbrauch  und Vertuschung schon merklich reduziert, so hat der Krieg, die Aggression Putins gegen die Ukraine die meisten von uns auf einen Tiefpunkt der Faschingslaune geführt. Wie sollten wir uns auch als Narren gebärden, während Raketen und Bomben, Flugzeuge und Panzer wehrlose  Menschen gefährden. Ich sage es deutlich, wenn auch in Reimen. Die Lage in Europa ist seit Donnerstag nur noch zum Weinen. Die Ukraine und sein demokratisch gewählter Präsident ist in höchster  Gefahr. Es steht zu befürchten, dass er nicht das letzte Opfer von Putins menschenverachtender Diktatur war. Ja, meine lieben Mitchristen, ich wäre so gerne auf die Kanzel gegangen, Und hätte so gern mit harmlosen, lustigen Versen Sie eingefangen. Doc