Direkt zum Hauptbereich

Visionen und Träume

 Die Frauenfigur "In der Warteschleife" - hier in der Kirche St. Martin - schaut nach einer gerechten Zukunft für Frauen in der Gesellschaft und besonders in der Kirche aus!

Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt hat den Satz geprägt: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen!“. Meine Meinung ist recht genau das Gegenteil: „Wer keine Visionen hat, ist nicht gesund!“ Visionen und Träume gehören zum Menschen und ohne sie gibt es keine Entwicklung - erst recht keine zum Besseren. Ich möchte drei Beispiele für Visionen und Träume hin zu einer besseren Welt nennen.  

Da ist als erstes die Figur „In der Warteschleife“ von Erika Einhellinger, die jetzt schon einige Wochen im Altarraum von St. Martin hängt und hier auch noch ein paar Tage zu sehen sein wird. Sie schwebt und ist als Frau erkenntlich. Für die Künstlerin symbolisiert sie zunächst den Traum vom Fliegen, von Leichtigkeit. Ein Traum, der sie bewegt, wie sie bei der Vernissage sagte. Diese Figur steht aber nach ihren Worten auch für eine Vision: für eine Welt und damit auch eine Kirche, in der Frauen gleichberechtigt sind. Die Fliegende schaut mit Libellenaugen danach aus. Dass sich dafür in der Kirche noch viel bewegen muss in der Ämter- und Machtfrage ist für Erika Einhellinger klar. Ohne die Vision, die diese Figur verkörpert und die Kraft, die diese Vision freisetzen kann, würde die Kirche aber noch langsamer voranschreiten als sie es jetzt schon tut.

Der zweite Traum, die zweite Vision ist die letzten Sonntag erschienene Enzyklika unseres Papstes mit dem Titel „fratelli tutti“. Der Traum von Papst Franziskus, den er darin beschreibt, ist eine Welt, in der sich alle Menschen bewusst sind, dass sie Geschwister sind. Es ist der Traum von einer Menschheit, die keinen sich selbst überlässt, die solidarisch und geschwisterlich ist. Eine Menschheit, die Liebe in soziale Mechanismen umsetzt. Ganz konkret nennt der Papst unter anderem den Umgang mit Migranten und die Ächtung der Todesstrafe.

Der dritte Traum ist das Evangelium vom morgigen Sonntag. Es erzählt von einem königlichen Hochzeitsmahl und ist eigentlich unglaublich. Denn die Menschen, die mit einer Einladung geehrt werden, wollen nicht kommen. Die einen kümmern sich nicht um die Einladung, die anderen fallen sogar über die Boten her. Da sich also die Berufenen als nicht würdig erweisen, ordnet der König an, jetzt alle nächstbesten einzuladen. Gleich ob gut, ob böse - ich ergänze: ob arm oder reich, ob schwarz oder weiß. Für die Zuhörer Jesu und also auch für uns ist das eine großartige Vision und ein wunderbarer Traum: Zum Hochzeitsmahl des Königs, also des himmlischen Vaters, kann jeder kommen. Du auch. Ich auch. Zur Gemeinschaft mit Gott hier und einmal in seinem Reich ist jeder berufen.

Doch eine Einschränkung gibt es im Gleichnis Jesu: wer kein hochzeitliches Gewand angezogen hat, wird hinausgeworfen. Ein hartes Wort zum Schluss des Evangeliums! Könnte das nicht ein Appell Jesu sein: Wir sind zur geschwisterlichen und feiernden Gemeinschaft berufen - denn das ist ein Hochzeitsmahl. Diese Vision Jesu wird für uns Menschen Wirklichkeit. Wir sind jetzt schon auf dem Weg dorthin. Aber wenn wir uns weigern, den Traum von einer geschwisterlichen Menschheit im Reich Gottes zu träumen, wenn uns der Alltag genügt und alles so bleiben soll wie es ist, dann taugen wir dafür nicht.

 

Foto: „In der Warteschleife“ von Erika Einhellinger in der Pfarrkirche St. Martin

Foto und Text: Diakon Sebastian Nüßl

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Auszug aus der Predigt am Faschingssonntag, 27.02.2022 von Stadtpfarrer Franz Reitinger

 Liebe Mitchristen, liebe Schwestern, liebe Brüder, bevor er so richtig begann, ist der Fasching auch heuer wieder von der Bildfläche verschwunden. Hatte die Corona-Pandemie schon vieles unterbunden, war die Lust auf Karneval mit dem Münchner Gutachten um Missbrauch  und Vertuschung schon merklich reduziert, so hat der Krieg, die Aggression Putins gegen die Ukraine die meisten von uns auf einen Tiefpunkt der Faschingslaune geführt. Wie sollten wir uns auch als Narren gebärden, während Raketen und Bomben, Flugzeuge und Panzer wehrlose  Menschen gefährden. Ich sage es deutlich, wenn auch in Reimen. Die Lage in Europa ist seit Donnerstag nur noch zum Weinen. Die Ukraine und sein demokratisch gewählter Präsident ist in höchster  Gefahr. Es steht zu befürchten, dass er nicht das letzte Opfer von Putins menschenverachtender Diktatur war. Ja, meine lieben Mitchristen, ich wäre so gerne auf die Kanzel gegangen, Und hätte so gern mit harmlosen, lustigen Versen Sie eingefangen. Doc

Kann Kirche im Januar 2022 noch Heimat sein? Predigt zum 4. Sonntag i. J.

Um die Kirche steht es schlecht. So viele Unklarheiten, so viele patriarchale Strukturen, Missbrauch, Vertuschung, unguter Umgang mit Homosexualität und anderes mehr. Nicht wenige haben das Gefühl, die Kirche, die ihnen Heimat war, bricht aus ihrem Leben weg. Heimat zu verlieren aber ist schmerzhaft.  Auch Jesus ist im Evangelium vom heutigen Sonntag dabei, seine Heimat zu verlieren. Nicht nur wird kein Prophet in seiner Heimat anerkannt, wie er im heutigen Evangelium sagt. Noch dazu provoziert Jesus die Menschen seiner Heimat. Denn er weist auf Ereignisse hin, bei denen sich Gott nicht als Gott der Juden erwiesen hat, sondern als Gott von Fremden - beispielsweise eines Syrers. Der wurde vom Aussatz geheilt, nicht die Kranken Israels. Provokationen, die die Menschen seiner Heimat verärgern und fast zur Lynchung Jesu führen. Doch der schreitet mitten durch die Menschenmenge und geht weg, wie in dieser Stelle aus dem Lukasevangelium zu lesen ist. Die Provokation Jesu ist die Aussage: Go

Gedanken zum "Hungertuch" und zum ersten Fastensonntag von Diakon Sebastian Nüßl

Wer zur Zeit in die Kirche St. Martin kommt, dem fällt es sofort auf: Nicht das Altarbild des Hochaltars ist vorne zu sehen, sondern eine vier Meter hohe und zwei Meter breite Papierbahn bemalt mit vielen kleinen und großen Zeichen. Günter Reinhardt, Bildhauer und Grafiker aus Neuhausen, hat dieses Kunstwerk exklusiv für die Pfarrei geschaffen. Es wird die Kirchenbesucher durch die Fastenzeit 2021 begleiten. Das bestimmende Thema dieses Fastentuches mit dem Titel „Verant-wort-ung“ sind Zeichen und Worte. So fällt auf den ersten Blick auf, dass die Entwicklung menschlicher Schriftzeichen von oben nach unten dargestellt wird. Das beginnt mit Symbolen aus Felsenmalereien wie Fisch, Stierkopf und Welle, geht über die Entwicklung von Buchstaben bis zur digitalisierten Schrift, die nur noch aus 1 und 0 besteht. Günter Reinhardt ging es aber um mehr. Das zeigt er, indem er den Begriff „Wort“ an zentraler Stelle auf die Papierbahn gemalt hat. Das Wort aber ist die Grundlage des Mensch-Seins. W