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Christentum für Unfertige - zum 14. Sonntag im Jahreskreis A - Diakon Sebastian Nüßl



Bild: Maria trifft Elisabeth - Statue im Regensburger Dom; Foto: Sebastian Nüßl


Also doch! Jesus sagt es ja selbst im Evangelium vom morgigen Sonntag! Das Christentum ist eine Sache für Unmündige: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du das vor den Weisen und Klugen verborgen und es den Unmündigen offenbart hast.“ Aufgeklärte, mündige Menschen brauchen kein Christentum mehr. So ist es doch. 

Nein, so ist es nicht. Jesus hat etwas völlig anderes im Blick. Er denkt an die, die nichts zu sagen hatten damals, die im wahrsten Sinn des Wortes unmündig waren. Also vor allem die Frauen und die Kinder. Es ist für Jesus ein Freude, dass genau sie von Gott gemeint sind. Und dass sich die Weisen und Klugen, die Schriftgelehrten, die Führenden so schwer taten mit der Botschaft vom Reich Gottes. Nicht umsonst jubelt Maria, die Mutter Jesu, bei der Begegnung mit Elisabeth: „Auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut“ und später: „Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen.“

Die Bedeutung dieser Stelle geht aber noch tiefer. Um das zu verstehen, ist es besser statt „Unmündige“ „Unfertige“ zu übersetzen. Das griechische Wort im Original erlaubt das. „Unfertige“ werden von Gott bevorzugt. Sie sind ihm lieber als die, die immer meinen, auf der richtigen Seite zu stehen, ihr Leben in der Hand zu haben und genau zu wissen, was richtig und falsch ist. Unfertige Menschen dagegen werden niemals fertig mit Suchen, Zweifeln, Finden, Fallen und wieder Aufstehen. Man muss das ja nicht so radikal in Worte fassen wie der bekannte Jesuitenpater Friedhelm Mennekes: „Nichts erweckt den Glauben mehr als Zweifel, Dissonanz und Zwispalt.“ Unfertige Menschen wissen jedenfalls, dass sie auf dem Weg sind und ihn immer neu suchen müssen. Jesus nennt das Umkehr. Unfertige leben auf Zukunft hin. Was jetzt ist, sehen sie als Provisorium. Die Zukunft liegt immer noch vor ihnen. Ihre Zukunft ist letzten Endes das Reich Gottes.

Folgerichtig ist für Jesus christlicher Glaube auch nichts, was man fertig formuliert in Bücher festschreiben könnte. Für ihn ist Glaube eine innere Bewegung mit Gott und auf ihn hin. Genau deshalb hat Jesus selbst nichts aufgeschrieben und nichts hinterlassen. Was von ihm blieb war, was er in anderen bewegt hat. Bei ihm gilt, was für uns Menschen überhaupt gilt: Schwach sind die, die Angst vor Zweifel haben, die Verletzungen fürchten, die unsichere Wege meiden. Stark sind die, die wissen, dass sie mit nichts und niemanden fertig sind und niemals fertig werden.

Ich möchte daher in das Loblied Jesu einstimmen:

Ich preise alle Zweifelnden und Suchenden,

alle von Sehnsucht Erfüllten und alle, die neue Wege gehen,

alle, die wissen, dass sie ihr Leben lang unterwegs sind

und alle, die auf Zukunft hin leben.

Ich preise alle Unmündigen und Unfertigen.

 


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