Direkt zum Hauptbereich

Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar - Gedanken von Diakon Sebastian Nüßl zum 6. Sonntag der Osterzeit



„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ lässt Antoine de Saint-Exupéry seinen kleinen Prinzen im gleichnamigen Buch sagen. Für den Glauben gilt dieser Satz auf jeden Fall. Der auferstandene Christus drückt es im Tagesevangelium vom 6. Sonntag der Osterzeit, also diesen Sonntag, so aus: „Nur noch kurze Zeit und die Welt sieht mich nicht mehr; ihr aber seht mich, weil ich lebe und weil auch ihr leben werdet.“ Das Sehen, das Christus meint, ist sehen mit dem Herzen. Wer nicht mit dem Herzen sieht, wird Christus nicht sehen können. Wer sich nicht auf ihn einlässt, bleibt blind.

Wo genau liegt nun der Unterschied zwischen bloßem Sehen und Sehen mit dem Herzen? Die vielen Gottesdienstübertragungen in der Corona-Zeit haben es uns gezeigt. Kameras sehen, aber sie haben kein Herz. Was wir auf den Bildschirmen dann anschauen können sind - wie könnte es anders sein - herzlose Bilder.

Es ist daher ganz verständlich, wenn der große Theologe Karl Rahner anlässlich des ersten Fernsehgottesdienstes in Deutschland 1953 fragt: „Darf die Fersehkamera das sehen und jedermann darbieten, was der gläubige Christ, der das Mysterium der Kirche mitfeiert, sehen darf und sieht?“ Seine Antwort damals: Nein. Das wäre herzloses Sehen. Heute werden wir anders antworten: Natürlich darf die Kamera dabei sein und zusehen. Wir erlauben es. Aber wir wissen: „Das Wesentliche ist für die Kamera unsichtbar.“

Und was ist das Wesentliche? Was kann die beste Kamera nicht vermitteln?

Um es mit einem Wort zu sagen: Es ist Nähe - menschliche und göttliche Nähe. Bei jedem Gottesdienst, besonders aber bei der sonntäglichen Eucharistiefeier kommen Menschen sich nahe. Sie beginnen und beenden die Feier zusammen. Sie reichen sich die Hand oder nicken sich zu, wenn sie zum Friedensgruß aufgefordert werden. Sie beten und singen gemeinsam.

Die Nähe im Gottesdienst geht über die körperliche Nähe hinaus: Sie umfasst im Gebet - besonders in den Fürbitten - alle Menschen - vor allem die „Armen und Bedrängten“, die Toten, die Lebenden, die Kommenden.

Nähe bezieht sich schließlich auf Gott selbst. Er hält keinen Mindestabstand ein, er lässt sich essen. In Brot und Wein der Eucharistie zeigt Gott, wie nahe er dem menschlichen Körper ist.

Lassen wir noch einmal Karl Rahner im Text von 1953 zu Wort kommen: "Wird einmal der Fernsehapparat zu dem normalen Mobiliar des Durchschnittsmenschen gehören und wird er dann gewohnt sein, allem und jedem zuzusehen, was eine wahllos neugierige Kamera zwischen Himmel und Erde erspäht, dann wird es für den Spießbürger des 20. Jahrhunderts eine unerhört aufregende Sache sein, dass es noch Dinge gibt, die man nicht im Lehnstuhl sitzend und eine Semmel kauend anschauen kann. Es wird für den Menschen der kommenden Jahrhunderte ein unsagbarer Segen sein, wenn es noch einen Ort, eben die Kirche, geben wird, wo er noch sein natürliches humanes Maß bewahren kann...“

Wo er Nähe findet, könnte man ergänzen. Unmittelbare Nähe zu Menschen und Gott, ohne irgendjemanden oder irgendetwas dazwischen.

Foto: Kirchenfenster St. Martin: Kirche: Volk Gottes (Kirche als Ort der Gemeinschaft); (Jürgen Stern)

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Zum 3. Fastensonntag - Gedanken von Pfarrer Franz Reitinger

Die Gleichnisgeschichte, die Jesus im heutigen Evangelium erzählt, kann man ganz leicht falsch verstehen. Gott ist nicht, wie man denken könnte, so wie der Besitzer dieses Weinbergs, der am liebsten den unfruchtbaren Feigenbaum umhauen würde. Gott ist so, wie diese Geschichte ausgeht. Gott hat Geduld mit uns Menschen, auch wenn wir oft genug wie nutzlose und unfruchtbare Bäume herumstehen. Doch die Geduld Gottes hat auch ein Ziel: Gott traut es uns zu, dass wir die Zeit unseres Lebens gut nutzen. Und Jesus will uns mit seinem Gleichnis dazu motivieren, gleich heute damit zu beginnen – damit zu beginnen umzukehren, uns nicht nur mit halber, sondern mit ganzer Kraft um das Gute zu mühen, fruchtbar zu werden für das Reich Gottes. Und noch ein Zweites können wir aus dem Evangelium lernen. Manchmal meinen wir – genauso wie die Leute, die zu Jesus kommen und ihm die neuesten Nachrichten erzählen, was wieder Schreckliches passiert ist – manchmal meinen wir, ein Schicksalsschlag, ein plötzli...

Kann Kirche im Januar 2022 noch Heimat sein? Predigt zum 4. Sonntag i. J.

Um die Kirche steht es schlecht. So viele Unklarheiten, so viele patriarchale Strukturen, Missbrauch, Vertuschung, unguter Umgang mit Homosexualität und anderes mehr. Nicht wenige haben das Gefühl, die Kirche, die ihnen Heimat war, bricht aus ihrem Leben weg. Heimat zu verlieren aber ist schmerzhaft.  Auch Jesus ist im Evangelium vom heutigen Sonntag dabei, seine Heimat zu verlieren. Nicht nur wird kein Prophet in seiner Heimat anerkannt, wie er im heutigen Evangelium sagt. Noch dazu provoziert Jesus die Menschen seiner Heimat. Denn er weist auf Ereignisse hin, bei denen sich Gott nicht als Gott der Juden erwiesen hat, sondern als Gott von Fremden - beispielsweise eines Syrers. Der wurde vom Aussatz geheilt, nicht die Kranken Israels. Provokationen, die die Menschen seiner Heimat verärgern und fast zur Lynchung Jesu führen. Doch der schreitet mitten durch die Menschenmenge und geht weg, wie in dieser Stelle aus dem Lukasevangelium zu lesen ist. Die Provokation Jesu ist die Aussage...

Markante Persönlichkeiten - Gedanken zum Sonntag, 6. Februar 2022 von Pfarrer Franz Reitinger

  Drei markante Persönlichkeiten werden uns heute in den Schriftlesungen vor Augen geführt, drei Glaubenszeugen, ohne die das Christentum nicht denkbar wäre: Jesus, Paulus und Jesaja. Die wichtigste Persönlichkeit für uns ist natürlich Jesus. Wir hören heute von Jesus, dem Herrn und Meister, der die Fischer am See Gennesaret sozusagen in seine Lehre nimmt, in seine Lehre als Fischer und mehr noch als Menschenfischer. Und das für professionelle Fischer Unglaubliche geschieht. Auf sein Wort hin fangen sie sogar untertags eine so große Menge an Fischen, wie es selbst in der Nacht nicht normal wäre. Jesus, eine markante Persönlichkeit, der göttliche Autorität besitzt und von dem eine ungemein große Faszination ausgeht. Aus seiner Idee, das Zwölf-Stämme-Volk Israel wieder zu sammeln, entstand eine neue Religion, die nicht nur aus Gewohnheit 2000 Jahre überlebt hat – trotz aller Krisen und Katastrophen. Nein, es war immer wieder neu die Person und die Botschaft dieses Mannes aus Nazare...